Archiv der Kategorie: Bundestagswahl 2017

Unsere Wahlprüfsteine zur BTW 2017

Anfang Juni haben wir nahezu alle Parteien, die zur Bundestagswahl 2017 antreten, angeschrieben und sie gebeten, uns zu unseren Wahlprüfsteinen Rückmeldung zu geben.

Sie sollten zu den Wahlprüfsteinen jeweils die Frage beantworten, ob sie ein entsprechendes Gesetz einbringen bzw. unterstützen oder ablehnen würden (oder ob die Partei zu dem Thema noch nicht sprachfähig ist).

19 Parteien haben geantwortet, teilweise mit sehr ausführlichen Statements zu den einzelnen Wahlprüfsteinen. Von den Parteien, die eine realistische Chance haben, in den Bundestag einzuziehen, erhielten wir eine Antwort von CDU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Die Linke. Nicht geantwortet haben AfD und CSU.

Zur Vorbereitung der Veranstaltung können sich Interessierte die Zusammenfassung der Rückläufe hier ansehen: Download: Rückmeldungen der Parteien zu den Wahlprüfsteinen

Am 14. September 2017 um 19 Uhr im Forum3 in Stuttgart werden wir die Antworten der Parteien vorstellen und mit Interessierten diskutieren. Vor der Veranstaltung werden wir die Ergebnisse gemeinsam mit einer kurzen Zusammenfassung an dieser Stelle veröffentlichen. Einige Parteienvertreter haben bereits ihre Teilnahme an der Veranstaltung angekündigt.

Das sind unsere Wahlprüfsteine:

1. Parteienfinanzierung

Der Einsatz von großen Macht- und Geldmitteln kann die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und in den Parteien verfälschen. Viel Geld sorgt nicht für eine rationale Debatte.

Daraus folgt unseres Erachtens, dass Parteien keine Spenden von juristischen Personen annehmen dürfen sollten und Spenden von natürlichen Personen begrenzt werden sollten.

Die staatliche Unterstützung der Parteien bevorzugt große Parteien. Kleinen Parteien und unabhängigen Kandidaten (unter 1% Stimmenanteil) wird diese Unterstützung generell verweigert. Ohne staatliche Unterstützung würden Parteien abhängiger von den Beiträgen und vor allem vom Engagement ihrer Mitglieder. Also sollte die Staatsfinanzierung der Parteien mindestens stark reduziert werden.

2. Fünf-Prozent-Hürde

Kleine Parteien können mehr Impulse zur Erneuerung geben als „große Tanker“. Sie werden jedoch in den Wahlgesetzen der europäischen Länder auf vielfältige Weise benachteiligt. Deutschland kennt zwar weder ein ungebändigtes Mehrheitswahlrecht noch „Boni“ für die je stärkste Partei, doch sorgt auch die 5%-Hürde dafür, dass Wähler Innen nicht die Partei mit ihrem bevorzugten Programm wählen, sondern als „kleineres Übel“ eine Partei, die Aussicht hat, im Parlament vertreten zu sein. Auch darin liegt eine Verfälschung des Wahlergebnisses.

Ein Sitz im Bundestag entspricht etwas weniger als 100 000 Stimmen. So viele Menschen sollten ein Recht auf Repräsentation haben. Angebliche Schwierigkeiten „stabile Regierungen“ zu bilden, sind zu vernachlässigen. Der Begriff „Koalition“ kommt im Grundgesetz auch nicht vor. Also sollte die 5%-Hürde entfallen.

3. Abgeordnete als Berufspolitiker

Art. 21 (1) des Grundgesetzes überträgt den Parteien die Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung und schreibt ihnen intern demokratische Grundsätze vor. Beides ist reichlich ungenau. Unserer Vorstellung von demokratischer Willensbildung entsprechen Regelungen, die die Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber ihrer (Partei-)Basis und ihren Wählern stärken und der Bildung einer „Kaste“ von Berufspolitikern entgegenwirken. Dazu muss die Unabhängigkeit der Abgeordneten gestärkt werden. Entscheidungen sollen sie immer nach ihrem Gewissen treffen können und nicht nach Maßgabe der Fraktionsdisziplin.

Um dies zu erreichen, sollte die Mandatsdauer von Parlamentsabgeordneten auf ein bis zwei Legislaturperioden begrenzt werden. Die Wiederaufnahme des Berufs wird mit Arbeitsplatzgarantie und/oder einem Übergangsgeld von zum Beispiel vier Jahren erleichtert.

Um die Entscheidungen der Abgeordneten stärker an ihre Partei zu binden, sollte die Parteibasis die Möglichkeit haben, Abgeordneten ihrer Partei ein Mandat auch zwischen Wahlen zu entziehen.

4. „Volksabstimmung“ / Direkte Demokratie

Art. 20 (2) des Grundgesetzes sieht neben Wahlen Abstimmungen des „Volkes“ zu Sachentscheidungen vor. In den seither verstrichenen 60 Jahren ist dazu noch kein Gesetz beschlossen worden. Dies ist nachzuholen. Die Einzelbestimmungen des Gesetzes sollen einen Kernbereich sachlicher Debatte möglichst weitgehend gewährleisten.

Fault die Parteiendemokratie, gärt’s im Wähler

Voraussichtlich am 15. Oktober 2017 wird in Niedersachsen der neue Landtag gewählt, rund drei Monate früher als ursprünglich geplant. Nötig wird die vorgezogene Neuwahl, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten am 4. August ihren Austritt aus der Fraktion und der Partei Bündnis 90/ Die Grünen verkündete. Damit hat Rot-Grün im niedersächsischen Landtag die hauchdünne Mehrheit von nur einer Stimme verloren.

Im Gegensatz zum Diskurs in Presse und den Sozialen Medien soll hier nicht debatiert werden, ob die CDU Twesten ein „unmoralisches Angebot“ gemacht hat oder nicht, denn der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung mit der politischen Klasse lassen gar keine andere Möglichkeit denkbar erscheinen. Auch soll nicht die Rede sein von der inhaltlichen Nähe grüner und schwarzer Politik. Denn die zeigt sich in ihrer ganzen Ödnis bereits zur Genüge – gerade hier im Ländle.

Die Gretchenfrage in diesem Fall ist eine andere. Es ist die Frage nach dem freien Mandat. Mit Goethe darf vermutet werden: Die moderne Berufspolitikerin von heute, sie hält nicht viel davon. Steigen wir also hinab in die Abgründe der „Demokratie, wie wir sie haben“, gehen wir dorthin, wo’s fault und stinkt, wagen wir uns in den Sumpf der Parteiendemokratie.

Artikel 12 der Niedersächsischen Verfassung besagt: „Die Mitglieder des Landtages vertreten das ganze Volk. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Wo also ist das Problem, wenn Twesten nun ihr Landtagsmandat als Parteilose weiterführt und es nicht etwa niederlegt, wie SPD und Grünen fordern? Die Gesetzeslage ist doch eindeutig, ja unterstützt sogar eine Politikerin, die mit ihrem Gewissen die Politik von Rot-Grün nicht mehr vereinbaren kann.

Natürlich lautet genau so auch die Verteidigungslinie von Twesten. Auf die Frage, warum sie ihr Mandat nicht zurückgibt, schließlich sei sie über die Liste der Grünen-Partei in den Landtag gelangt, antwortete sie: „Als freie Abgeordnete. Wir haben ein freies Mandat und ich bin von den Menschen in meiner Region gewählt worden, für die ich mich weiterhin einsetzen will. Und das kann ich jetzt auch in der CDU.“(Quelle: HAZ)

Indessen zeigt schon die Frage der HAZ, dass sich die vierte Staatsgewalt längst damit abgefunden hat, dass die Unabhängigkeit des Abgeordneten nur noch de jure gilt. De facto regieren Fraktionszwang und die informellen Abhängigkeiten, denen sich jeder Berufspolitiker, jede Berufspolitikerin, aus persönlichem Ehrgeiz und aus Habgier höchst freiwillig unterwirft. Das aber ist in der Berichterstattung kein Thema. Mehr noch: Die Medien befleißigen sich darin, das undemokratische Spiel noch zu befeuern. Dass sich die Kreistags-Delegierten Ende Mai in freier Wahl nicht für Elke Twesten als Landtags-Kandidatin entschieden, sondern für ihre Konkurrentin Birgit Brennecke, kommentiert Ludwig Greven in der ZEIT. Er ist der Ansicht, die Parteiführung hätte den Delegierten klarmachen sollen, „was von ihrer Entscheidung noch alles abhing. Dann hätten die sich womöglich anders entschieden“. Es ist entlarvend, dass hier der Diktatur der Parteielite, die in der Tat wohl am liebsten so vorgegangen wäre, auch noch das Wort geredet wird!

Jakob Augstein wiederum wirft Twesten Verrat vor und wünscht sie gleich in Dantes untersten Höllenkreis. Doch bezichtigt er sie nicht etwa des Verrats an der Demokratie oder am Wähler, sondern an der Partei. Aus gekränkter Eitelkeit Rot-Grün im Stich lassen, also das geht für nun wirklich nicht.

Dabei ist das der eigentliche Skandal der „Regierungskrise in Niedersachen“: Die Gleichgültigkeit, mit der darüber hinweggesehen wird, dass in den Parlamenten der Geist des Grundgesetzes und der Landesverfassungen täglich mit Füßen getreten wird. Als eine der Säulen der Demokratie gepriesen ist die Freiheit des Mandats nurmehr noch Blendsäule. Und der Wähler? Er weiß, dass es so ist und empört sich nicht. Nein, er passt sein Wahlverhalten an. Das war bei der Landtagswahl am 19. 2. 2013 in Niedersachsen so, das wird am 24. 09. 2017 bei der Bundestagswahl so sein. Psychologisch und kognitiv mag das eine valide Strategie sein, ethisch ist es eine gesellschaftliche Bankrotterklärung. Die Frage ist mehr als berechtigt, ob diese Adaption nicht auch den Grundsatz der freien Wahl, der in §38 des Grundgesetzes geregelt ist, aushebelt. Damit stünde der Vertretungsanspruch der Abgeordneten zur Disposition, die Legalität der in den in den Parlamenten getroffenen Regelungen und Gesetze infrage.

Erstaunlich, welchen Wandel die konstitutionelle Verfasstheit unseres Staatsgebietes in den letzten einhunderfünfzig Jahren hingelegt hat. Es soll mal eine Zeit gegeben haben, in der man gewagt hat, laut über eine Rätedemokratie nachzudenken, über imperative Mandate und Begrenzung der Amtszeiten von Abgeordneten. Ob Kaiser Wilhelm II. über unsere heutige Demokratie wohl sagen würde: „Ich erkenne keine Individuen mehr, ich erkenne nur noch Parteimitglieder“?

Nein, der Abschaffung von politischen Parteien an sich sei hier nicht das Wort geredet. Ich gebe nur zu bedenken, dass das, was sich in den Parlamenten abspielt, dem Geiste des Grundgesetzes und der Landesverfassungen nicht entspricht. Ich fordere auf, sich mit Alternativen zur Parteiendemokratie zu beschäftigen und mit den Möglichkeiten, wie die Auswüchse dieses System beschnitten werden können (z.B. durch Neuregelung von Parteispenden, Abgeordnetendiäten, Nebeneinkünfte, Lobbyregister etc.). Ich fordere die Bürgerinnen und Bürger auf, selbst zu kandidieren für die Landtags- und Bundestagswahlen – als parteilose Abgeordnete. Alle, die dieses Demokratie-Spielchen satt haben, sollten dies tun, alle, massenhaft. Souverän, hol dir deine Souveränität zurück!

Sollte man dennoch erwägen, bei der anstehenden Bundestags- bzw. Landtagswahl eine Partei zu wählen, so ist zu prüfen, wie sie’s mit der Demokratie hat. Dies allein sollte das entscheidende Kriterium fürs Kreuzchen sein. Unsere Wahlprüfsteine geben eine erste Orientierung. Überzeugen die Parteien und das System der Parteiendemokratie nicht, so ist es besser, anstatt der Wahl fernzubleiben, die Kritik daran öffentlich zu machen. Dies kann durch einen aktiven Wahlboykott geschehen, wie wir ihn zur Bundestagswahl erneut anbieten.

Zu guter Letzt: Wie ernst es Elke Twesten mit der Vertretung ihrer Region und der Unabhängigkeit des Amtes wirklich ist, zeigt die Vorgeschichte ihres Parteiaustritts. Die Frau wusste, was sie tat, wann sie es tat und warum.

Denn erst nachdem Ende Mai klar wurde, dass sie als Landtagskandidatin für ihren Wahlkreis nicht wieder nominiert würde, ging sie in die Offensive und brachte die Absprache mit der CDU unter Dach und Fach. Obwohl sie möglicherweise auch über die Landesliste der Grünen in den Landtag hätte einziehen können. Und obwohl sie schon länger mit dem Gedanken eines Wechsels spielte. Die Landesliste der CDU indessen war schon beschlossen, über diesen Weg gab es keine Möglichkeit, sich im Landtag für ihre Region „einzusetzen“. Ob ihr angesichts der miserablen Umfragewerte letztlich der Listenplatz der Grünen zu unsicher war oder gekränkte Eitelkeit sie diesen Entschluss fassen ließ – sicher ist: Als Abgeordnete des EU-Parlaments oder des Bundestages wird bei ihren Entscheidungen die Region eine vernachlässigbare Rolle spielen. Der real existierende Fraktionszwang, der die Hinterbänkler zu Stimmvieh degradiert, wird es schon zu verhindern wissen.

Es ist also wieder einmal der Logik der Parteiendemokratie und ihres Belohnungssystems zu verdanken, dass bis in den Oktober hinein ein Landesparlament als lahme Ente durch die politische Landschaft watschelt, handlungsunfähig. Die einzige Aktivität, die dort zu beobachten sein wird: Das unwürdige Schauspiel vom Hauen und Stechen um Machtoptionen.

Ein Kommentar von Yvonne

WAHLKAMPF 2017 – WIE IMMER?

„Trump – der ist ein Geschenk des Himmels“ (Thomas Oppermann)

Natürlich ist das Zitat frei erfunden. Ob es schlecht erfunden ist, wird sich zeigen.

Wir haben eine neue Lage – welche eigentlich?

Trump und sein Kabinett sind nicht weniger neoliberal als es Clinton gewesen wäre, mindestens im Verein mit der republikanischen Partei. Er denkt auch nicht weniger geostrategisch, hat nur vielleicht eine etwas andere geostrategische Agenda. Er ist auch – im Gegensatz zu seinem Wahlkampfgetöse – nicht weniger Wall-Street-freundlich, sondern holt sich deren Vertreter gleich direkt ins Kabinett. Nationale Interessen („America first“) sind auch für andere das Wichtigste, man denke nur an Schäubles Politik gegen Griechenland: Sie dient vor allem der deutschen Exportindustrie und den Banken, die die Finanzierung dazu machen. Und der besondere Aufreger: Die Mauer an der mexikanischen Grenze – ist sie humaner als die „Mauer“ im Mittelmeer?

Woher kommt dann die anscheinend echte Wut der anderen, bis hin zu Schäuble?

Ich riskiere eine steile These: WAHLKAMPF 2017 – WIE IMMER? weiterlesen